Duett zu dritt: Komponisten im Beziehungsdreieck (German Edition) by Reiber Joachim

Duett zu dritt: Komponisten im Beziehungsdreieck (German Edition) by Reiber Joachim

Autor:Reiber, Joachim [Reiber, Joachim]
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: Verlag Kremayr & Scheriau
veröffentlicht: 2015-01-21T05:00:00+00:00


Wohin fliegt der Holländer?

RICHARD WAGNER

Johohoe! Kaum zu fassen, was sich da abspielt unterm Dach eines biederen Seefahrerheims. Die Tochter des Hauses, die sich einem braven Burschen versprochen hat, singt verzückt das Porträt eines anderen an. Leibhaftig gesehen hat sie ihn noch nie, aber sie glüht für ihn und seine Not. Der Mann braucht Erlösung, eine Frau kann sie ihm bringen – dem fiebert sie entgegen.

Was folgt, ist bloß noch Vollzug. Der Heilssucher erscheint leibhaftig, sie wird die Seine und verspricht ihm ewige Treue. Was zählt da noch das Gelöbnis von gestern? Was gilt da noch der rechtschaffene Bräutigam? Null und nichtig wird all das vor dem Erlösungswerk, das es jetzt zu wirken gilt. Der Tod soll’s besiegeln. Sie stürzt sich für ihn in die Fluten. Die Wogen türmen sich auf, sinken zurück, und zwei, beide in verklärter Gestalt, entsteigen dem Meere: sie und der Andere. Auf dem Land bleibt Treibgut zurück. Zerschelltes Bürgerglück. Und ein betrogener Dritter.

Das ist die Geschichte des „Fliegenden Holländer“, mit dem Richard Wagner als Musikdramatiker zu sich selbst fand. Der Bayreuth-Kanon beginnt mit diesem Werk, und das zu Recht. Nach dem Kunterbunt der frühen Opern setzte Wagner neu an. Von einem „ganz andere[n] – wie viele sagen – neue[n] Genre“261 sprach er selbst schon bei der Premiere 1843. Aus mythischem Urgrund habe er geschöpft, erklärte Wagner später, erstmals sei er „zum künstlerischen Dichter“ eines Stoffs geworden, „der mir nur in seinen einfach rohen Zügen als Volkssage vorlag. Ich war“, so Wagner über die Weichenstellung im Zeichen des „Holländer“, „von nun an in Bezug auf alle meine dramatischen Arbeiten zunächst Dichter, und erst in der vollständigen Ausführung des Gedichtes ward ich wieder Musiker.“262

Man ist – wie so oft bei Wagner – gut beraten, der Suada nicht aufs Wort zu glauben. Verführt vom Drang, sich ganz als Dichter vor der Welt zu präsentieren, schummelte er ein wenig. Er ließ einen anderen unerwähnt, den er hätte nennen müssen: Heinrich Heine. In Wahrheit hatte er den „Holländer“ von ihm, aus dessen „Memoiren des Herren von Schnabelewopski“. Dort wird die Mär erzählt: die Geschichte vom fliegenden Holländer, dem Fluchbeladenen, den es qualvoll über die Meere treibt, bis ihm die Treue einer Frau den Frieden schenkt. Sie stürzt sich ins Meer, er wird erlöst. Folgt noch ein Kommentar, typisch Heine: „Die Moral des Stückes ist für die Frauen, daß sie sich in acht nehmen müssen, keinen Fliegenden Holländer zu heuraten; und wir Männer ersehen aus diesem Stücke, wie wir durch die Weiber, im günstigsten Falle, zugrunde gehn.“263

Wagner hätte Heine nicht tilgen müssen aus seiner Schöpfungsgeschichte des „Fliegenden Holländer“. Ihm wäre auch so genug geblieben für die eigene Erfinderehre. Denn etwas grundlegend Neues bringt er ein in seine Version des „Holländer“. Ein Novum mit gravierenden Folgen: Neu, im Vergleich zu Heine, ist das Dreieck.

Bei Heine ist die Erlösungsgeschichte noch ein simpler Pas de deux. Der Holländer holt sich seine Erlöserin direkt aus der Kinderstube. Dort hat sie, ein verträumter Backfisch, ihr Lebtag lang nur ihn ersehnt. Einen anderen hat sie nie gekannt. Bei Wagner aber müssen es drei sein – und die Frau gebunden.



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